Alexander Becker (RWA): Erfahrungsbericht EdiromAlexander Becker (RWA): Report on Experience with Edirom

Alexander Becker (RWA): Erfahrungsbericht Edirom

20. Juli 2010

Die Reger-Werkausgabe (RWA) ist als hybride Ausgabe konzipiert, die einem herkömmlich gedruckten Notentext einen digitalen wissenschaftlich-kritischen Apparat zur Seite stellt. Diese Präsentationsform bietet zwei grundlegende Vorteile: Zunächst ist die schiere Menge an Material zu nennen, die ein Editor für seine Arbeit zusammentragen, nutzen und bewerten muss; eine Fülle, die in einer reinen Printausgabe aus mehrerlei Gründen, unter die auch ein Mindestmaß an Benutzerfreundlichkeit zu zählen ist, nicht präsentierbar wäre (jedenfalls nicht ohne statt einer „hybriden“ eine „hybrische“ Ausgabe zu verantworten). In einem digitalen Medium dagegen spielen quantitative Begrenzungen kaum mehr eine Rolle – und außerdem können Informationen zielgerichtet dort (und nur dort) bereitgestellt und abgerufen werden, wo sie von Nutzen sind. Zweitens profitiert auch der textkritische Apparat im engeren Sinne von seiner Aufbereitung im digitalen Medium. Ermöglicht eine solche doch, die betreffenden Quellen abzubilden und Anmerkungen des Editors sowohl mit diesen Quellenabbildungen als auch untereinander zu verknüpfen. Voraussetzung hierfür ist natürlich eine entsprechende, leistungsfähige Software: Dies ist Edirom.

Obwohl also die RWA grundsätzlich auf einen digitalen Apparat angelegt ist, hatten wir uns bei Projektbeginn entschieden, die Vorarbeiten zum ersten Band noch „analog“ zu leisten – zunächst aus Gründen des zeitlichen Ablaufs: Scans der Quellen mussten erst beschafft bzw. hergestellt, Editionsrichtlinien erarbeitet und Standards für die Struktur und den Umfang des Apparats entwickelt werden, bevor die Umsetzung mithilfe der Edirom beginnen konnte. Rückblickend halte ich es – wenn nicht, wie in unserem Fall, ohnehin der Not eines festen Zeitplans geschuldet – für wichtig, mit editorischen Arbeiten und Vorüberlegungen analog zu beginnen, d.h. zwar ohne die Hilfestellungen, aber eben auch ohne die Vorgaben eines Programms. Jeder editorische Gegenstand hat seine Eigenheiten und besonderen Notwendigkeiten, und es ist ratsam, sich unabhängig vom zur Verfügung stehenden Instrumentarium eine Vorstellung seiner Aufbereitung zu bilden (gewissermaßen frei nach Beethovens Wort von der „armseligen Geige“, die sich hier allerdings als wundervolles Instrument erwies!).

Doch wenn die strukturelle Basis für die Edition einmal gelegt ist und die Quellenauswertung beginnt, ist ein möglichst frühzeitiger Einsatz von Edirom dringend zu empfehlen. Wer einmal mithilfe der Software kollationiert oder Korrektur gelesen hat, wird darauf nicht mehr verzichten wollen. Die Vorzüge der Edirom beim Kollationieren hat Joachim Veit bereits hinreichend beschrieben (vgl. "Nicht mehr wegzudenken") und ihm kann ich mich nur anschließen! Übrigens sei die Edirom auch allen Editoren ans Herz gelegt, die auf die digitale Aufbereitung der Quellen letztlich verzichten und eine analoge Notenausgabe favorisieren: Denn die taktweise synchronisierte Darstellung der Quellen, welche deren Varianten sofort augenscheinlich werden lassen, sollte sich niemand entgehen lassen.

Das Bestechende an der Software Edirom ist ihre Vielseitigkeit und Flexibilität – ein Vorzug, der natürlich mindestens im gleichen Maße der Unterstützung und Kompetenz des gleichnamigen Forschungsteams zuzuschreiben ist. Ich kann sagen, dass wir immer wieder überrascht waren, wie viele Dinge – und v.a. wie schnell – die Kollegen in Detmold möglich gemacht haben, die uns im Zusammenhang der RWA wünschenswert, aber technisch oft kaum realisierbar erschienen.

Gleichwohl darf man nicht unterschätzen, dass eine Einarbeitungszeit von mehreren Monaten notwendig ist, um die Funktionsweise der Software so zu verstehen, dass man ihre Möglichkeiten hinreichend ausschöpfen und sich auf Standards für Formatierungen und Verknüpfungen festlegen kann (in unserem Fall hat diese Phase etwa ein halbes Jahr in Anspruch genommen). Vielleicht ist es möglich, auch ohne die kompetente Unterstützung aus Detmold eine digitale Edition auf Basis der Edirom zu erarbeiten, doch stelle ich mir das sehr mühsam und im Detail auch unerquicklich vor.

Musik-Editoren sind zumeist Musikwissenschaftler und hinsichtlich der genutzten EDV reine Anwender. Schon ein eigenständiges Erstellen und Formatieren von Texten auf XML-Basis, die das Programm erfordert, ist nicht derart vorauszusetzen, wie es etwa Kenntnisse etwa in der Textverarbeitung heute sind; es bedarf der Anleitung. Gleiches gilt umso mehr für die Nutzung fortgeschrittener Programmoptionen. Vor allem aber bedeutet eine reine Nutzung der Edirom als bestehendes Programm ohne deren gleichzeitige Weiterentwicklung und Anpassung auf den jeweiligen Gegenstand mindestens mittelfristig einen Rückschritt.

Die Software Edirom ist ein Meilenstein für die Editionspraxis. Sie technisch und inhaltlich aktuell zu halten, erfordert ein strukturiertes Zusammenwirken von Editoren und Informatikern, wie dies durch das Detmolder Forschungsprojekt in bester Weise geschieht. Als Herausgeber der Reger-Werkausgabe möchten meine Kollegen und ich uns hierfür sehr herzlich bedanken.