„Nicht mehr wegzudenken““Doing without is no longer conceivable”

„Nicht mehr wegzudenken“ – Joachim Veit zum Einsatz der Edirom-Werkzeuge bei der Vorbereitung der Bände der Weber-Gesamtausgabe

Auch wenn wir im Jahr 2005 mit der in Serie VI, Bd. 3 beigelegten CD zu Webers Klarinettenquintett op. 34 erstmals überhaupt im Bereich historisch-kritischer Notenausgaben eine digitale Version vorgelegt haben, bleibt die Weber-Werkausgabe doch eine vorwiegend in „traditioneller“ Form, d.h. als Printausgabe, veröffentlichte. Dennoch hat sich durch die Zusammenarbeit mit dem Edirom-Projekt, das 2008 eine technisch grundlegend überarbeitete, nun auch auf unterschiedlichen Betriebssystemen lauffähige Neufassung von Webers Quintett vorlegte, die Arbeitsweise an der Detmolder Arbeitsstelle der Weber-Ausgabe grundlegend gewandelt. Mit großem Gewinn ließen sich nämlich die Edirom-Werkzeuge auch für die tägliche Arbeit zur Vorbereitung der gedruckten Bände verwenden.

Dies betraf zunächst vor allem die aufwändige Kollationierungsarbeit: Gegenüber den oft mehr als mäßigen alten Readerprinterkopien stehen auf dem Bildschirm nicht nur (in der Regel erheblich) bessere (teils farbige) Digitalisate zur Verfügung, sondern durch die Kartographie der Quellen und die kinderleichte Kombinierbarkeit in der Edirom lassen sich jederzeit Takte aus unterschiedlichen Partituren oder Stimmen auf engstem Raum so kombinieren, dass das Auge sehr geringe Wege hat, um die notwendigen Vergleichsarbeiten durchzuführen. Völlig neu ist dabei die Zusammenführung von Stimmen zu einer Art künstlicher Partitur – ein Hilfsmittel, von dem ich immer schon geträumt habe! Auch die Möglichkeit, rasch etwa zwischen Exposition und Reprise hin- und herzuspringen, führt dazu, dass Parallelstellen häufiger verglichen werden als man dies bei dem unbequemen Weg über die Papierstapel vermutlich tun würde. Das kam vor allem der Redaktionsarbeit sehr zugute! Man sollte ruhig zugeben, dass aus Zeitgründen früher wiederholte Kontrollen unklarer Stellen oft unterbleiben mussten; heute ist jederzeit mit minimalstem Aufwand eine Quellenkonstellation herstellbar, die eine nochmalige Überprüfung von Unsicherem erlaubt.

Es wäre aber eine Verkürzung, wollte man nur diese Arbeitserleichterung als Besonderheit der Edirom hervorheben! Nein, sehr viel wichtiger ist eine dabei zu beobachtende Akzentverschiebung: Diese neue Art der Arbeit mit den Quellen bringt eine sehr viel intensivere Auseinandersetzung mit den Eigenheiten der Notate mit sich, ja in vielen Fällen führt erst das sonst kaum machbare direkte „Nebeneinander“ der Quellen (wie etwa in der Abbildung von vier autorisierten Handschriften der Jubelouvertüre) zur Wahrnehmung von Besonderheiten oder macht Abhängigkeiten deutlich. Die „Schriftlichkeit“ der Überlieferung und die Deutungsproblematik rücken in diesem Medium in einer Weise in den Mittelpunkt, die nun auch für den Außenstehenden oder den praktischen Musiker den Interpretationsspielraum und die Probleme bei der Edition von Musik „einsichtig“ machen – auch wenn man immer wieder davor warnen muss, sich auf den bloßen „Augenschein“ zu verlassen! Der Editor muss in dieser Umgebung alle notwendigen Interpretationshinweise zum „Lesen“ der Quellen mit artikulieren – also Dinge zur Sprache bringen, die er sonst einfach verschwiegen hat, weil er dem Leser keine Rechenschaft schuldig zu sein glaubte. (Dessen wird er sich aber oft erst bei der Arbeit mit den digitalen Hilfsmitteln bewusst!)

Sieht man diese neue Art der Transparenz als einen der Riesenvorteile digitaler Editionen, so schmerzt es mich als Editor natürlich, wenn ich die Ergebnisse meiner Arbeit für den gedruckten Band gewissermaßen wieder „eindampfen“ und in der Verknappung undurchsichtiger machen muss. Ich habe aber den Eindruck, dass die Arbeit mit diesen digitalen Hilfsmitteln auch zu einer allmählichen Modifikation unserer traditionellen Kritischen Berichte beiträgt. Zum anderen freue ich mich natürlich darauf, zumindest einige wichtige Werke wiederum durch digitale Beilagen zu ergänzen. So werden im Jahr 2010 die Klarinettenkonzerte mit einer DVD-Beilage erscheinen und bis zur Publikation des Freischütz in wenigen Jahren dürfte auch eine Veröffentlichung der digitalen Fassung im Netz machbar sein, um einerseits die Vorteile der Aktualisierbarkeit zu nutzen – Korrekturen werden im wissenschaftlichen Bereich mit Erkenntnisfortschritten stets notwendig und hier lassen sie sich endlich einbringen, ohne dass große Kosten entstehen – andererseits aber auch eine Verbindung zu den übrigen, tatsächlich digital publizierten Teilen der Weber-Edition (Briefe, Tagebücher, Schriften) herzustellen und so Informationen in neuer Weise miteinander in Beziehung zu setzen.